Warum sich der Staat in unsere Ernährung einmischen sollte

Die Jahrhundertfluten in Osteuropa und Südostdeutschland bringen den Klimawandel zurück ins Bewusstsein. Eine Baustelle: Unsere Ernährung. Sollte sich der Staat dort einmischen?

Düsseldorf. Das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen traute sich vergangene Woche etwas, was sich in der deutschen Bundesregierung derzeit niemand traut: Es mischte sich ins tägliche Essen der Bürgerinnen und Bürger ein. Erstmals berücksichtigte die Schweizer Behörde bei ihren Ernährungsempfehlungen auch Nachhaltigkeitskriterien. Der Aufschrei war groß.

Und wenig überraschend: Auch deutsche Ernährungspolitiker und -forscherinnen wissen um die gesellschaftliche Spaltungskraft jeglicher Ernährungsempfehlungen. Ob es der Veggie-Day der Grünen vor gut zehn Jahren war oder der Versuch der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die Deutschen wenigstens zu etwas weniger Fleischkonsum zu ermuntern – Deutschland ist empört.

Dabei sind zwei Dinge unstrittig: Die Deutschen ernähren sich zu ungesund, und die Art und Weise, wie wir essen, trägt zum Klimawandel bei. 37 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit stammen laut Weltklimarat aus Landwirtschaft und Ernährungsindustrie.

Wie sehr der Klimawandel mittlerweile in den Alltag der meisten Europäerinnen und Europäer drängt, zeigte sich erst Anfang der Woche wieder – durch die Jahrhundertfluten, die Teile Österreichs, Polens und Tschechiens zerstörten.

Wäre es da nicht sinnvoll, wie die Schweizer Behörde argumentiert, Gesundheit und Nachhaltigkeit zusammenzudenken? Die Schweizer immerhin versprechen sich „eine maßgebliche Reduktion der Umweltbelastungen und Lebensmittelverschwendung“ durch ihre neuen Empfehlungen. Die bedeuten im Wesentlichen: mehr frische Produkte und weniger Fleisch essen.

Was für Nachhaltigkeit in Ernährungsempfehlungen spricht

Für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ist klar: „Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten sowie Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit, sondern schont dabei die Ressourcen der Erde.“ Es sind genau jene Nahrungsmittel, die auch der überwiegende Teil der Wissenschaft empfiehlt.

Vor einigen Jahren warb eine von der Rockefeller-Foundation eingesetzte Kommission ebenfalls für diese Art der Ernährung. Und gab ihr den Namen: Planetary Health Diet. Um zu zeigen, wie Gesundheit und Klimaschutz zusammengehören.

Warum das nötig ist, lässt sich relativ leicht berechnen: Pro Kopf verbraucht jeder Mensch in den industrialisierten Ländern heute etwa 80 Kilogramm mehr Nahrungsmittel pro Jahr als noch in den 1950er-Jahren. Dabei muss der Planet heute mehr als dreimal so viele Menschen ernähren wie damals.

„Wir müssen eben wieder essen, als ob es ein Morgen gäbe“, sagt Hubert Hohler, Küchenchef der Buchinger-Wilhelmi-Klinik am Bodensee und Ernährungsaktivist. „Unser täglich Brot gib uns heute, ist o.k. Unser täglich Fleisch gib uns heute, geht nicht.“ Hohler wirbt dafür, durch die eigene Ernährung vier Komponenten unter einen Hut zu bringen: Gesundheitsverträglichkeit, Wirtschaftsverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit.

Das ist auch Konsens in der Wissenschaft. Unter anderem könnte laut dem 2022 erschienenen Lancet Countdown on Health and Climate Change eine ausgewogene und stärker pflanzlich geprägte Ernährung dazu beitragen, die Emissionen aus der Produktion von rotem Fleisch und Milch zu reduzieren sowie gleichzeitig bis zu 11,5 Millionen ernährungsbedingte Todesfälle pro Jahr zu verhindern.

Besonders stark belasten das Klima tierische Lebensmittel: Forschende der Universität Oxford haben 2018 berechnet, dass Fleisch, Milch, Aquakultur und Eier über 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche beanspruchen und knapp 60 Prozent der Emissionen im Ernährungssystem verursachen.

DGE-Präsident Bernhard Watzl betonte deswegen bei der letzten Vorstellung der offiziellen Ernährungsempfehlungen: „Gesunde Ernährung und umweltschonendere Ernährung müssen zusammengedacht werden. Wir müssen die verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen mit berücksichtigen bei der neuen Entwicklung lebensmittelbezogener Ernährungsempfehlungen.“

Was gegen mehr Nachhaltigkeit in Ernährungsempfehlungen spricht

So klar wie der wissenschaftliche Vorteil einer nachhaltigen Ernährung ist die Umsetzung nicht. Das liegt an zwei Dingen: der Aufnahmebereitschaft der Menschen und der Genauigkeit von Ernährungsempfehlungen.

Ersteres ist offensichtlich: Sobald irgendein Wissenschaftler, Politiker oder Behördenmensch in Deutschland nur erwägt, weniger Fleischkonsum auch nur zu empfehlen, tobt eine erregte Masse durch den öffentlichen Diskurs. Ob es nun der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ist, der nach Einführung eines vegetarischen Tages in VW-Kantinen bemäkelte, man verbanne „den Kraftriegel des Arbeiters“, oder die Warnungen der „Bild“ vor einem Veggie-Deutschland.

Das liegt zum einen daran, dass die Vermischung von Ernährung und Klimapolitik einen der „Triggerpunkte“ betrifft, die der Soziologe Steffen Mau in der deutschen Gesellschaft ausgemacht hat. Also Themen, über die sich Menschen in Deutschland besonders gern zerstreiten, weil die eine Seite der anderen eine Art moralische Bevormundung unterstellt.

Zum anderen trifft hier zu, was die Schriftstellerin und Brandenburger Verfassungsrichterin Juli Zeh beschreibt: Es gebe gerade viele Männer, denen es verführerisch erscheine, alles so zu machen wie immer. „Lass uns ,normal sein‘, beschreibt Zeh diesen Wunsch. Und der äußert sich auch beim Essen. „Mutter-Vater-Kind-Familie, Steak auf dem Grill, Diesel in der Garage, Mann als Ernährer“, laute hier das Lebensmodell – und wer das Steak verbietet, greift dann eben ins Lebensmodell.

Die Frage, wie exakt Ernährungsempfehlungen überhaupt höheren Zielen dienen können, ist schwieriger zu beantworten. Auf einer theoretischen Ebene ist die Formel „klimafreundlicher essen gleich gesünder essen“ zwar unumstritten. Und wer Hülsenfrüchte statt Fleisch, frische Produkte statt verarbeiteter und biologisch erzeugt statt konventionell erzeugt isst, verursacht einen geringeren ökologischen Fußabdruck.

Was aber heißt das, wenn man es konkret runterbricht?

Drei Beispiele: Ist die Klimabilanz eines Stücks Fleisch von einem Rind, das im Nachbarort auf einer Weide stand, wirklich schlechter als die eines Sojaprodukts aus Frankreich? Ist die frische Tomate aus Holland wirklich nachhaltiger und gesünder als die Dosentomate aus Süditalien? Ist die eingeschweißte Biogurke aus Spanien wirklich besser als die konventionelle, aber unverpackte vom Nachbarhof?

Keine Antwort auf diese Fragen ist trivial. Zudem es keinerlei eindeutige Siegel für diese Fragestellung gibt. Und da spielt eine Erkenntnis aus der Verhaltensökonomie eine Rolle: Je mehrschichtiger oder diffuser die Botschaft, wie ein Mensch sich verhalten soll, ist, desto weniger versteht und befolgt er sie.

Deswegen gilt: Gesundheit und Klimaschutz beim Essen zu verbinden, ist prinzipiell sinnvoll. Ernährungsempfehlungen aber mit immer mehr Anforderungen zu überfrachten, vermutlich eher nicht.